Bei unseren täglichen Rundgängen über das weitläufige Gelände von Vanamoolika bin ich zum einen immer wieder begeistert von Vielfalt und Formen der Pflanzen- und Tierwelt, zum anderen erstaunt mich der fortlaufende Wandlungsprozess der Strukturen, in denen der Menschen aber dieselben bleiben.
Mr . Chackochan und sein Partner Mr. George sind inzwischen etwas 70 Jahre alt, wirken aber frisch wie eh und je. Ein Vielzahl der Mitarbeitenden kennen wir mit Namen, und wenn wir mal irgendwo bei der Arbeit mithelfen oder in die Privasphäre einer Küche stolpern, schaut uns niemand schief an.
Gestern entdeckte ich in der Mitte der c. 600 m² großen Kaffeeerarbeitungsanlage den etas verloren wirkenden kleinen Handpulper zum Entfleischen der Kaffeebohnen, mit dem vor 10 Jahren alles angefangen hatte. Ihn umgibt inzwischen ein mehrstufiges Verarbeitungssystem, in das inzwischen sicher mehrere Hundertausend Euro investiert wurden – einzig und allein, um für uns, Roasters United, und unsere Freunde von Quijote Kaffee Kaffee zu verarbeiten, und das nur in zwei bis drei Monaten im Jahr.
Die Anlage ist die Haupteinnahmenquelle von Vanamoolika – wenn wir weniger oder keinen Kaffee mehr abnehmen würden und oder die Kaffeebauern und – bäuerinnen keiinen Kaffee mehr liefern würden, was aufgrund von Marktmechanismen wahrscheinlicher wird und teilweise passiert, dann steht die gesamte Organisation auf sehr dünnem Eis.
Das Hauptproblem sind fehlende Arbeitskräfte, die bei der Ernte helfen könnten. Wanderarbeiter aus dem Norden Indiens lassen sich traditionell nicht in der Landwirtschaft einsetzen, die eigenen Kinder werden Ingenieur, Krankenschwester, und wandern nach Europa oder in die USA ab oder verdingen sich in den Emiraten. Heimische Landwirtschaft auf kleinen Flächen lohnt sich immer weniger, und das Ernten der Produkte wird teuer. Der Staat Kerala fördert Landwirtschaft nicht oder nur mit seltsamen Förderprogrammen.
Ein Beispiel: Ein Bauer möchte Unterstützung für den Kauf einer kleinen heimischen Kuhrasse – die traditionell nur für die Herstellung von Flüssigdünger gehalten werden. Geld gibt es aber nicht für eine Kuh, sondern nur für die Kuh, die Anlage eines Fischteiches bei gleichzeitigem Vorhandensein eines Gemüsegartens. Was passiert? Innerhalb weniger Jahre hat jeder Bauer mindestens einen Fischteich… neben der Kuh und dem Garten.
Die (vegetarischen lebenden) Fische wiederum brauchen Fischfutter – das u.a. aus Krabbenmehl und Soja hergestellt wird und zugekauft werden muss. Einen lokalen Markt für Süßwasserfisch gibt es aber nicht (mehr) – weil ja jetzt jede Familie ihren eigenen Teich hat.
Eine weitere Herausforderung in der Biolandwirtschaft und der Vermarktung der Produkte ist, dass die Betriebe teilweise weit von der Vearbeitungs- und Vermarktungszentrale Vanamoolika, wo wir jetzt sind, entfernt liegen. Ein kollektiver Warentransport, z.B. von geerntetem Kaffee lässt ich nicht koordinieren, da die individuellen Mengen zu klein und Zeitpunkte zu unterschiedlich sind. Individuell organisierte Transporte fressen dann fast den Gewinn auf, so dass es einfacher ist, Kaffee direkt an der Straße zu verkaufen, als an die Genossenschaft.
Oder Bauern haben Angst, ihr Kaffee könnte über Nacht vom Baum gestohlen werden, so dass sie ihn lieber unreif ernten und billig am lokalen Markt verscherbeln, als ihn reif und selektiv zu ernten.
Ihr seht – die Mechanismen sind komplex und oft kaum zu durchschauen oder zu verstehen, so dass Interventionen oft keinen Sinn machen oder wirkungslos verpuffen.