Wie mir eine Liane (fast) das Leben rettete
Das Hochland Äthiopiens und insbesondere seine Kaffeewälder im Westen sind wild, unzugänglich und vielfältig. Es gibt Nashornvögel, schwarzweiße Colobus-Affen, Pavianhorden und sogar Waldlöwen. Im Rahmen eines Wildkaffee-Forschungsprojektes hatte ich über zwei Jahre die Chance, die letzten wildwachsende Kaffees beherbergenden Wälder zu bereisen und zu untersuchen.
Dazu verlassen wir die Komfortzone und setzen uns in einen rumpeligen Geländewagen mit abgefahrenen Reifen und fahren 2 Tage in den ‚wilden‘ Westen Äthiopiens. Übernachtet wird in umfunktionierten, ehemaligen Überseecontainern, in Gästehäusern der katholischen Kirche oder von Hilfsorganisation, mehr als oft aber auch in Motels staubig-morastiger, lärmiger Kleinstädte, Herbergen, die kaum von Bordellen abzugrenzen sind. Toiletten, Duschen, Waschbecken, so vorhanden, datieren meist aus der Kaiserzeit und sind in der Regel funktionsuntüchtig. Oropax, Jugendherbergsschlafsack und Desinfektionsmittel gehören zu unserer Standardausrüstung, helfen aber meist wenig gegen Bettwanzen oder Flöhe.
Der unverfälschte Charme eines Entwicklungslandes lässt sich oft nur in Gesellschaft netter Kollegen und Kolleginnen bei geröstetem Ziegenfleisch und mit reichlich Hopfenkaltschale ertragen. Nicht zu erwähnen, dass sauberes Trinkwasser Luxusgut und Quellen meist in Händen staatlicher oder private Unternehmen sind. Der Handel mit Wasserflaschen zählt daher zu den wichtigsten Einnahmequellen lokaler Shop-Besitzer und Dutzendpacks von 1-Liter-Flaschen nehmen einen nicht unerheblichen Platz in unserem Geländewagen ein.
Wir fahren endlich in den Wald – die Bettwanzen sind vergessen, der kräftige Geschmack des viel zu heißen Espresso macchiato liegt noch lange auf der Zunge und überdeckt unsere Ausdünstungen aus scharf gewürztem Ziegengeschnetzelten (oder war es Hammel?).
Wir sind im Yayu-Forest, inzwischen Kaffeebiosphärenreservat, ein C-förmiges Waldgebiet entlang zweier tief eingeschnittener Flusstäler. Die Bergrücken und Hochflächen sind längst entwaldet und werden intensiv landwirtschaftlich genutzt, das Ergebnis von Hunger, Krieg, Diktatur und Umsiedlung. Die indigenen Ethnien sind weitgehend vertrieben oder ausgerottet. Sie lebten einst im Einklang mit der Natur und huldigten ihren Waldgöttern, die sie ernährten. Für die neuen Siedler ist Wald das Synonym des Dunklen und Bösen. In Begleitung einiger ortskundiger, mutiger Bauern machen wir uns auf den Weg ins Tal, wo die Kaffeewälder liegen, das Wasser – Flusswasser – zum Trinken und Waschen, oder für das Vieh. Der Weg ist steil, glitschig, die Luft ist schwül-heiß. Erst jetzt bemerken wir, dass wir unseren reichlichen Wasservorrat im Wagen vergessen haben. Tief im Wald stoßen wir auf Kaffee, es sind Wildpflanzen, zu kleinen Pflanzungen verdichtet. Der sonst dichte Schatten ist etwas ausgelichtet, denn Kaffee gedeiht am besten bei 40 % Schatten. Ein Hektar dieser Wildpflanzungen erbringen vielleicht 2-3 Sack Kaffee, etwa 10 % des Ertrags einer brasilianischen Plantage.
Viel gesehen, viel gelernt – aber jetzt geht es zurück. Wir sind hungrig und noch durstiger, und noch liegen 5 Kilometer bergauf vor uns. Wir rasten an einer Wegbiegung als einer unser Begleiter ins Gebüsch springt. Mit einer Machete schlägt er gekonnt eine lange, armdicke Liane von einem hohen Baum und zerteilt sie mit zwei drei Schlägen in größere Stücke. Wir sollen den Kopf in den Nacken legen und den Mund öffnen. Er hält das Lianenstück senkrecht darüber. Heraus sprudelt Wasser, klar mit einem Geschmack nach Tonic und herrlich erfrischend. Welch ein Genuss und eine tolle Lektion in Sachen Survival in the Wilderness!